Fly Guy
via dem Zwarwald vom letzten Posting.
Divegirl - via meinem Urlaub letzte Woche, der schon wieder weit weit weg scheint.
1994 - 10 Jahre ist es her - da war ich überzeugt, dass in maximal 10 Jahren die Übertragung von Informationen mittels Papier überflüssig sein würde. Computer, kleine, flache, robuste, tragbare, würden Zeitungen und Bücher ersetzt haben. Keine verstaubten Regale mehr in der Wohnung. Auch keine Zeitschriftenstapel, über Jahre hinweg gesammelt, weil man keine Information wegwerfen will, auf die man eventuell mal zurückgreifen könnte. Nein, alles gespeichert auf platzsparenden Datenträgern oder bei zentral gehosteten Info-Providern.
Ich habe gewettet: in 10 Jahren, im Jahr 2004, werde ich ganz bestimmt mit meinem IP 54 geschützen tragbaren, superleichten Webpad in der Badewanne sitzen und dortselbst meine Tageszeitung lesen, die ich gerade bekommen habe - wireless via Satellitennetz.
Und was ist?
Nichts.
Es gibt zwar in manchen Hotels Wireless LAN (was mir jetzt auch ermöglicht dieses Posting zu generieren). Mein Notebook ist superleicht - und Spiegel lese ich natürlich online. Aber die Durchdringung die ich mir vorgestellt habe, die ist nicht vorhanden.
Alles in allem: Ich habe die Wette verloren.
Ich weiss es ging um eine Kiste Champagner.
Allerdings weiss ich nicht mehr, mit WEM ich gewettet habe!
Deshalb muss ich die Kiste Champagner jetzt wohl oder übel selber trinken.
Worauf ich heute wetten würde?
Wann?
Naja, das dauert sicher noch ein paar Jahrzehnte.
PS: Auf Bücher will ich allerdings nicht verzichten.
Ich habe einmal fast ein Jahr lang geschlafen.
Kurz zuvor bin ich 18 geworden. Es waren die letzten Monate meiner Schulzeit und es war die Zeit der ersten Abenteuer. Damals schlief ich selten. Nachts war ich meist heimlich unterwegs. Unterwegs in Kneipen mit so vielversprechenden Namen wie „Elektro Schmidt“ und „Badcafe“, unterwegs auf Konzerten neuer wilder Bands, die den Musikgeschmack auf den Kopf stellten. Und unterwegs auf nächtlichen Expeditionen mit meinem Verbündeten K. Wir wollten wissen wie der Wald nachts aussieht, wenn man auf einer Geländemaschine durch ihn durchbraust. Wir unternahmen heimliche Kletterexpeditionen auf Schiffen, die am Donauufer angelegt hatten und stiegen in öffentliche Gebäude ein, um die Leere zu fühlen. Einmal beobachteten wir einen nächtlichen Geldtransport und dachten lange darüber nach, ob wir das Zeug zum Räuberpärchen hätten. Meist war ich unterwegs bis 5 Uhr früh, um mich dann nach Hause zu stehlen, an den schlafenden Eltern vorbei in mein Bett. Unter Tags ging ich in die Schule.
Ich rannte dem neu entdeckten Leben hinterher in der ständigen Angst etwas zu versäumen.
Ich wusste, dass sich das Leben, der Lebensweg in Sekundenschnelle entscheiden kann. Im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein – wichtig. Den richtigen Schritt in die richtige Richtung machen - lebenswegentscheidend. Das Schicksal lauert hinter jeder Ecke. Und die entscheidenden Momente wollte ich erkennen – das Schicksal einfangen – das Leben richtig wenden.
Es war eine faszinierende aber erschöpfende Zeit. Eine Zeit in der viel passierte. Eine Zeit, die mit dem Schulabschluss – einem Riesenkrach mit meinen Eltern und dem Umzug in eine andere Stadt endete.
Ich bezog meine neue Wohnung - und schlief ein.
Mein Zimmer sah fürchterlich aus. Ich schaffte es beim Einzug gerade noch, die Hälfte der braun-beige-gemusterten Tapeten abzukratzen, die meine Wände verunstalteten – die andere Hälfte verschob ich. Auf morgen. Auf übermorgen. Monatelang. Ich ging jeden Tag um 10:00 ins Bett und schlief – mit Unterbrechungen, bis in den Nachmittag des nächsten Tages hinein. Ich kannte kaum jemanden in dieser Stadt, daher vermisste mich auch keiner. Ich schaffte es zwar, mich an der Universität einzuschreiben, danach versäumte ich jedoch fast alles. Vorlesungen, Seminare, Prüfungen. Und ich hatte Angst. Angst dass ich es nie schaffen würde meinen Rhythmus wiederzufinden, zu lernen, zu arbeiten, ein geregeltes Leben aufzunehmen. Ich hatte Angst am Bahnhof schlafend neben den Säufern und Bettlern zu enden – unfähig irgendetwas in die Hand zu nehmen. Eigenständig.
Das Träumen habe ich perfektioniert in dieser Zeit: Ich konnte meine Träume steuern, ich konnte fliegen und die wunderbarsten Abenteuer erleben. Mir wurde damals bewusst, dass der Mensch tatsächlich zwei Leben besitzt. Das Wache – das Wirkliche und das Traumleben – phantastisch aber dennoch logisch. Meistens liebte ich es zu träumen. Und manchmal hasste ich es. Dann wenn mir der Traum vorgaukelte, ich würde wach sein. Bereits unterwegs zur Universität, unterwegs zur Prüfung, unterwegs zum richtigen Leben. Alles war gut. Und dann wachte ich auf und merkte: ich war immer noch in meinem Bett. Ich hatte alles versäumt, alle Termine, es war mal wieder vorbei. Die Träume, die dich nicht in die Realität entlassen, sind die schlimmsten.
Einmal erschien mir Traum eine Frau. Schätzungsweise Ende 30. Nicht sehr dünn, auch nicht dick, mit einer freundlichen, offenen, humorvollen Ausstrahlung. Sie kam mir bekannt vor, ich wusste nicht an wen sie mich erinnerte aber ich wusste ich kannte sie. Oder besser noch: ich wusste diese Frau kannte mich besser als ich selbst mich kenne. Sie sah stark aus, glücklich. Sie lächelte mich an und sagte: "Nur Mut!"
Am nächsten Tag wachte ich auf. Es war mittlerweile Frühling geworden. Der Himmel war blau und die Luft war klar. Ich beschloss auf die Uni zu gehen. Ich dachte nicht nach über richtige Momente und richtige Schritte – über Schicksal und Lebenswendungen. Ich dachte nur daran, dass ich es endlich erledigen musste das Einschreiben fürs neue Semester, nachdem ich es bereits wieder tagelang vor mir hergeschoben hatte.
Am Schalter traf ich M. Ein Mädchen, das ich ab und an in den wenigen Vorlesungen gesehen hatte, die ich besucht habe. Sie erkannte mich ebenfalls und fragte, ob ich nicht am gleichen abend auf eine Party kommen möchte. Nette Leute, nette Musik.
Diese Party war der Anfang meines Ausstieges aus der Trägheit. Ich lernte neue Leute kennen, die mir noch am gleichen Abend sagten, sie hätten ein Zimmer frei in ihrer Wohngemeinschaft. Eine Woche später zog ich dort ein. Im nächsten Semester schrieb ich mich in einen anderen Studiengang ein – und trotz vieler Parties, vieler Kneipenbesuche und vieler Aktivitäten führte ich meine Ausbildung zu Ende, bin nicht am Bahnhof gelandet und habe auch nie wieder solange geschlafen.
Bis auf heute. Ich war ein wenig krank, erkältet, erschöpft. In der Früh habe ich noch etwas erledigt, bin aber um 9:00 wieder ins Bett. Im Traum traf ich ein Mädchen. Grosse dunkle Augen, hellblondes Haar, sehr dünn. Sie kam mir bekannt vor, ich wusste nicht an wen sie mich erinnerte aber ich wusste ich kannte sie. Ich kannte sie besser als irgendjemand anderen auf dieser Welt. Sie sah ängstlich aus und sehr verloren. Ich lächelte sie an.
„Nur Mut!"....
Das war übrigens mein Dornröschenschlaf. Banana Yoshimoto hat noch ein paar bessere auf Lager.
Getraeumt habe ich heute nichts - jedoch verschlafen.
Nur eine halbe Stunde. Koffer packen, Katzenwaesche, ein schnelles Reisroellchen vom Fruehstuecksbuffet, ein Schluck Misosuppe, auschecken aus dem Hotel. Die letzte abenteuerliche Fahrt mit einem Pekingtaxi raus zum Flughafen. Wie in Trance einchecken auf AF129 - die Ausreisequittung fuer den Zoll so gut versteckt in meiner neuen Prada-Handtasche, dass ich sie nicht mehr finde. Wieder raus aus allen gesperren Zonen. Neues Ticket loesen, um gleich danach das alte wieder zu finden. Umtausch ausgeschlossen. Den Flug letztendlich erwischt.
Jetzt entspannt am Charles de Gaulle/Paris - warten auf den Anschlussflug.
Das alte Europa hat mich wieder. Mein Herz ist noch in China.
Liisa fragt sich, warum die Leute den Weltraum und fremde "Welten" erforschen möchten, obwohl wir noch nicht mal mit dieser Welt fertig sind.
Bestimmt legitim und absolut verständlich. Wir hätten zwar ohne Weltraumforschung keine Satelliten. Live Fernsehen wäre nicht möglich. Auch die Ozeanforschung wäre schwieriger zu bewerkstelligen ohne GPS System und Satellitentelefon. Aber ob uns das alles wirklich besser, glücklicher, wissender macht sei dahingestellt.
Nichtsdestotrotz: Wenn mir jemand anbieten würde auf eine Mars-Tour mitzufahren - oder weiter zum Jupiter oder irgendwohin mit ungewissem Ausgang: Ich würde mitfliegen - egal ob logisch oder nicht! Gespannt fieberte ich mit Beagle 2, betrachte jetzt neidisch die Fotos vom NASA-Rover "Spirit" und hoffe, dass die Russen wirklich in 10 Jahren auf dem Mars sind - in echt - als Mensch.
Und wenn mich jemand fragt: Wer oder was hätten Sie gerne sein wollen? Ich würde antworten: Kapitänin der Sternenflotte auf einem Forschungsraumschiff, auf der Suche nach fremden Welten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat!
Was sonst!